Beschreibung
Jérôme Ferrari, Jahrgang 1968, ist schon lange als Schriftsteller »mein Korse«. Sein Roman »Balco Atlantico« zählt seit Jahren zu meinen Lieblingsbüchern. Gerade habe ich »Nord Sentinelle« zu Ende gelesen und bin noch ganz benommen von der Lektüre. Ein junger Korse ersticht einen jungen Pariser Mann, der ihn lächerlich gemacht hat. Nichtig der Grund, doch tief verwurzelt in der Geschichte der Menschen, die auf dieser Insel wohnen und Tag um Tag mehr von desolaten Touristen- und Touristinnenhorden in die Unsichtbarkeit getrieben werden. Der Erzähler in Ferraris Buch sucht aufzuzeigen, worin dieser Stolz, dieses fatale Konsequenzen nach sich ziehende »Ehrgefühl« gründet.
»Nord Sentinelle« ist ein rauhes Buch. Die Sprache, von Christian Ruzicska stammt die grossartige Übersetzung, tut das ihre zu einer Lektüre, die weit weg vom Mainstream eine Welt erzählt, eine Welt, die oft romantisiert wird, nicht zuletzt in Verbindung mit der Erinnerung an eine Landschaft, die es so auch schon lange nicht mehr gibt. Wer den Film »Le Royaume« gesehen hat (siehe mein Post auf Instagram), weiss wovon die Rede ist.
Tief in die Historie führt die Erzählstimme, in jene alte Geschichte, in der der Reisende Francis Richard Burton (1821-1890) verkleidet die Stadt Harar erkundete, und damit, wie die Legende es will, deren Untergang einleitete, jene Stadt Harar also in Äthiopien, in der auch Arthur Rimbaud (1854-1891) sich aufgehalten hatte, Fotos, die er dort gemacht hatte, zeugen davon. Überwältigend wie Ferrari den Bogen von Harar damals ins korsische Heute spannt.
Auf nur 138 Seiten entfaltet Jérôme Ferrari eine beeindruckend farbige und vielschichtige Tapisserie, ein korsischer Menschheitsteppich.
Auf der Homepage des Verlags gibt es ein paar Sätze, sogenannte Pressestimmen: Eines ist sicher, ich habe ein ganz anders Buch gelesen. Eines, das in die irrationale Sehnsucht von Kindern mündet, der »Kuss einer Mutter könne alle Wunden heilen«.